FÄUSTE GEGEN HÖRNER

Der Überfall auf den Versorgungszug lief fast genau so ab, wie Roran es geplant hatte: Drei Tage, nachdem sie den Haupttrupp der Varden verlassen hatten, stürmte er mit seinen berittenen Kameraden den Hang zu einer Senke hinab und griff den Wagenkonvoi, der sich durch das Land schlängelte, seitlich an. Gleichzeitig sprangen die Urgals hinter den über die Talsohle verstreuten Felsen hervor und blockierten die Spitze des Trecks. Die Soldaten und Wagenlenker wehrten sich tapfer, aber der Überfall traf sie völlig unvorbereitet, und Rorans Trupp konnte sie bald überwältigen. Keiner der Angreifer wurde getötet und nur drei trugen Verletzungen davon, zwei Menschen und ein Urgal.
Einige Soldaten tötete Roran eigenhändig, aber die meiste Zeit über hielt er sich im Hintergrund und dirigierte die Kampfhandlungen, wie es jetzt seine Pflicht war. Ihm tat immer noch alles weh von den Peitschenhieben, und er wollte sich nicht mehr als nötig anstrengen, aus Angst, die Striemen, mit denen sein Rücken überzogen war, könnten wieder aufplatzen.
Bis dahin hatte er keine Schwierigkeiten gehabt, zwischen den zwanzig Menschen und zwanzig Urgals Disziplin zu wahren. Auch wenn offensichtlich war, dass die beiden Gruppen einander weder mochten noch trauten - was er nur zu gut verstand, denn er verspürte denselben Abscheu vor Urgals wie alle, die in der Nähe des Buckels aufgewachsen waren. Dennoch hatten sie es geschafft, während der letzten drei Tage zusammenzuarbeiten, ohne dass es auch nur zu einem Wortgefecht gekommen wäre. Das hatte allerdings, wie er wusste, wenig mit seiner Tüchtigkeit als Befehlshaber zu tun. Nasuada und Nar Garzhvog hatten die Krieger, die unter ihm dienen sollten, sorgfältig ausgewählt. Ihnen allen eilte der Ruf voraus, aufgeweckt, einsichtig und vor allem von ruhigem, ausgeglichenem Gemüt zu sein.
Doch während seine Leute nun damit beschäftigt waren, die Toten auf einen Haufen zu schichten, und Roran die Reihe der Wagen auf und ab ritt, um die Arbeiten zu überwachen, hörte er vom hinteren Ende des Konvois ein schmerzerfülltes Heulen. Weil er dachte, es wäre vielleicht zufällig ein weiterer Trupp Soldaten aufgetaucht, rief er Carn und ein paar andere zu sich und gab Schneefeuer die Sporen.
Vier Urgals hatten einen feindlichen Soldaten an den Stamm einer knorrigen Weide gebunden und vergnügten sich damit, ihn mit ihren Schwertern zu stoßen und zu stechen. Fluchend sprang Roran vom Pferd und erlöste den Mann mit einem Hammerschlag von seinem Elend.
Eine Staubwolke hüllte die Gruppe ein, als Carn mit vier anderen Kriegern auf den Baum zugaloppiert kam. Sie zügelten ihre Pferde und nahmen mit gezogenen Waffen rechts und links von Roran Aufstellung.
Der größte der Urgals, ein Gehörnter namens Yarbog, baute sich vor Roran auf. »Hammerfaust, warum hast du uns den Spaß verdorben? Er hätte bestimmt noch eine ganze Weile für uns getanzt.«
Durch zusammengebissene Zähne sagte Roran: »Solange ihr unter meinem Kommando steht, werdet ihr Gefangene nicht ohne Grund foltern. Habt ihr mich verstanden? Viele dieser Soldaten sind gegen ihren Willen gezwungen worden, Galbatorix zu dienen. Viele von ihnen sind unsere Freunde oder Angehörige oder Nachbarn, und obwohl wir gegen sie kämpfen müssen, werde ich keine unnötigen Grausamkeiten dulden. Die Menschen unter uns verdanken es nur einer Laune des Schicksals, dass wir nicht an ihrer Stelle stehen. Sie sind nicht unser Feind; Galbatorix ist es, für uns wie für euch.«
Die buschigen Augenbrauen des Urgals zogen sich zusammen, bis sie fast seine tief liegenden gelben Augen verdeckten. »Aber du tötest sie trotzdem, nicht wahr? Warum können wir sie dann vorher nicht noch ein bisschen tanzen lassen?«
Roran fragte sich, ob der Schädel des Urgals zu dick für seinen Hammer wäre. Er rang seinen Zorn jedoch nieder und sagte: »Weil es falsch ist!« Er zeigte auf den toten Soldaten. »Was, wenn er einer von eurem Volk gewesen wäre, den Durza, der Schatten, verzaubert hätte? Hättet ihr ihn dann auch gefoltert?«
»Natürlich«, sagte Yarbog. »Sie würden doch wollen, dass wir sie ein bisschen mit den Schwertern kitzeln, damit sie ihre Tapferkeit beweisen können, bevor sie sterben. Ist das bei euch hornlosen Menschen nicht genauso? Oder vertragt ihr keinen Schmerz?«
Roran wusste nicht, wie schlimm es für einen Urgal war, als hornlos bezeichnet zu werden. Aber er war sicher, dass es für sie eine ebenso tödliche Beleidigung war wie für einen Menschen, wenn man an seinem Mut zweifelte. Wahrscheinlich war es für die Gehörnten sogar noch schlimmer. »Jeder Einzelne von uns könnte mehr Schmerz aushalten als du, Yarbog«, erwiderte er und packte Hammer und Schild fester. »Also gut, wenn du nicht unvorstellbare Qualen erleiden willst, gib mir dein Schwert, binde den armen Kerl los und schaff ihn zu den anderen Toten hinüber. Danach kümmerst du dich um die Packpferde. Das wird nun deine Aufgabe sein, bis wir wieder bei den Varden sind.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Roran ab und griff nach Schneefeuers Zügeln, um wieder aufzusitzen.
»Nein«, knurrte Yarbog.
Roran erstarrte mit dem Fuß im Steigbügel und fluchte innerlich. Genau diese Situation hatte er gehofft, während ihres Einsatzes vermeiden zu können. Er wirbelte herum und fragte: »Nein? Verweigerst du mir etwa den Gehorsam?«
Der Urgal fletschte seine kurzen Fangzähne. »Nein. Ich fordere dich zum Zweikampf um die Anführerschaft dieses Stammes, Hammerfaust.« Damit warf er den gewaltigen Kopf in den Nacken und brüllte so laut, dass die übrigen Menschen und Urgals alles fallen ließen und angerannt kamen, bis sich sämtliche vierzig Mann um Yarbog und Roran drängten.
»Sollen wir uns um diese Kreatur kümmern?«, rief Carn mit schallender Stimme.
Roran schüttelte den Kopf und wünschte sich, weniger Zuschauer zu haben. »Nein, das mach ich schon selbst.« Trotzdem war er froh, der Front aus grauhäutigen Kolossen nicht allein, sondern an der Seite seiner Männer gegenüberzustehen. Die Menschen waren zwar kleiner als die Urgals, aber alle außer Roran saßen zu Pferde, was ihnen einen kleinen Vorteil verschaffen würde, sollte es zu einem Kampf kommen. Carns Kräfte würden ihnen in diesem Fall wenig nützen, denn die Urgals hatten einen Schamanen namens Dazhgra dabei, der, nach allem, was Roran gesehen hatte, der mächtigere Magier der beiden war, wenn auch nicht so bewandert in den geheimen Künsten.
Zu Yarbog sagte Roran: »Bei den Varden ist es nicht üblich, das Kommando als Preis für den Sieg eines Kampfes zu vergeben. Wenn du kämpfen willst, werde ich kämpfen, aber du gewinnst dadurch nichts. Wenn ich verliere, wird Carn das Kommando übernehmen, und du wirst ihm statt mir unterstehen.«
»Pah!«, sagte Yarbog. »Mir geht es nicht darum, dein Volk anzuführen. Ich fordere dich zum Zweikampf um das Recht, uns anzuführen, die Krieger des Bolvek-Stammes! Du hast dich nicht bewährt, Hammerfaust, also steht dir die Position des Stammesführers nicht zu. Wenn du verlierst, werde ich die Gehörnten hier anführen, und wir brauchen nicht mehr zu dir, Carn oder irgendeinem anderen Schwächling aufzuschauen, der unseren Respekt nicht verdient!«
Roran überdachte rasch die Lage, bevor er sich in das Unvermeidliche fügte. Selbst wenn es ihn das Leben kostete, musste er versuchen, seine Autorität gegenüber den Urgals wiederzuerlangen, ansonsten würden die Varden sie als Verbündete verlieren. Er holte tief Luft und sagte: »Bei meinem Volk ist es Sitte, dass der Herausgeforderte Zeit und Ort des Kampfes bestimmt, ebenso wie die Art der Waffen.«
Yarbog gluckste tief in der Kehle. »Die Zeit ist jetzt, Hammerfaust, der Ort ist hier. Und bei meinem Volk kämpft man im Lendenschurz und ohne Waffen.«
»Das dürfte kaum gerecht sein, da ich keine Hörner besitze«, widersprach Roran. »Bist du damit einverstanden, dass ich zum Ausgleich dafür meinen Hammer behalte?«
Der Urgal dachte darüber nach, dann sagte er: »Du kannst Helm und Schild behalten, aber nicht den Hammer. Waffen sind bei Kämpfen um die Anführerschaft nicht erlaubt.«
»Na gut... Wenn ich meinen Hammer nicht benutzen darf, verzichte ich auch auf Helm und Schild. Wie lauten die Regeln für diesen Kampf und wie stellt man den Sieger fest?«
»Es gibt nur eine Regel, Hammerfaust: Wenn du flüchtest, hast du den Kampf verloren. Gewonnen hast du, wenn du deinen Gegner zum Aufgeben zwingen kannst - aber da ich mich niemals ergeben werde, kämpfen wir bis zum Tod.«
Roran nickte. Das wünscht er sich vielleicht, aber ich werde ihn nicht töten, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. »Fangen wir an!«, rief er und schlug mit seinem Hammer gegen den Schild.
Auf seine Anweisung hin räumten die Männer und Urgals eine Fläche von zwölf mal zwölf Schritten frei und markierten sie mit Stöcken. Dann legten Yarbog und Roran ihre Kleidung ab, und zwei Urgals schmierten Yarbogs Körper mit Bärenfett ein, während Carn und Loften, einer der Männer, bei Roran dasselbe taten.
»Schmier mir, so viel du kannst, auf den Rücken«, murmelte Roran. Er wollte, dass der Schorf auf seinen Wunden so weich wie möglich war, damit sie nicht so leicht aufreißen konnten.
Carn lehnte sich vor und fragte Roran: »Warum hast du Schild und Helm abgelehnt?«
»Sie würden mich nur langsam machen. Wenn ich nicht von ihm zerquetscht werden will, muss ich flink sein wie ein verängstigter Hase.« Während die beiden ihn weiter einfetteten, musterte Roran seinen Gegner auf der Suche nach irgendeiner Schwachstelle, die ihm helfen könnte, den Urgal zu besiegen.
Yarbog war über sechs Fuß groß. Er hatte breite Schultern, einen ausladenden Brustkorb, Arme und Beine waren mit Muskelpaketen bedeckt. Er besaß einen so kräftigen Nacken wie ein Stier, um das Gewicht des Kopfes und der gebogenen Hörner tragen zu können. Drei schräge Narben zogen sich auf der linken Seite über die Taille, wo ein Tier ihm die Klauen ins Fleisch geschlagen hatte. Die gesamte Haut war mit feinen schwarzen Borsten bedeckt.
Wenigstens ist er kein Kull, dachte Roran. Er wusste, er war stark, trotzdem glaubte er nicht, dass er Yarbog mit reiner Körperkraft besiegen konnte. Es gab wohl nur wenige Menschen, die es mit einem gesunden Urgal aufnehmen konnten. Außerdem war Roran klar, dass die langen schwarzen Fingernägel, die Fangzähne und Hörner sowie die ledrige Haut Yarbog erhebliche Vorteile bei einem unbewaffneten Kampf verschafften. Wenn möglich, werde ich es tun, beschloss er, während er an all die gemeinen Tricks dachte, die er gegen den Urgal einsetzen könnte. Denn dieses Duell würde etwas ganz anderes sein als mit Eragon, Baldor oder einem anderen Dorfbewohner aus Carvahall zu raufen. Er war sicher, es würde eher wie der grausame und wilde Kampf zweier Bestien sein.
Immer wieder kehrte Rorans Blick zu den gewaltigen Hörnern zurück, denn sie waren das Gefährlichste an dem Urgal. Damit konnte er nach ihm stoßen und ihn aufspießen. Außerdem schützten sie Yarbogs Kopf seitlich vor den vergleichsweise harmlosen Schlägen, die Roran ihm mit bloßen Händen würde versetzen können, auch wenn sie die periphere Sicht des Urgals einschränkten. Dann erkannte Roran, dass die Hörner, die Yarbogs größter natürlicher Vorteil waren, genauso gut sein Verderben bedeuten konnten.
Roran lockerte die Schultern und wippte ungeduldig auf den Zehen. Ungeduldig wartete er darauf, dass der Wettkampf endlich begann.
Als beide von oben bis unten voll Bärenfett waren, zogen sich die Helfer zurück, und die Kontrahenten traten in das abgesteckte Viereck. Roran hielt die Knie leicht gebeugt, bereit, bei der kleinsten Bewegung des Urgals in jede Richtung auszuweichen. Der Felsboden unter seinen nackten Fußsohlen war kalt, hart und rau.
Ein leiser Windstoß ließ die Blätter der nahen Weide rascheln. Einer der Ochsen, die vor die Wagen gespannt waren, scharrte mit den Hufen im Gras und sein Geschirr knarzte.
Mit johlendem Gebrüll stürzte sich Yarbog auf Roran und überwand die Entfernung zwischen ihnen mit drei donnernden Schritten. Roran wartete, bis er fast heran war, und sprang dann mit einem Satz nach rechts. Aber er hatte Yarbogs Geschwindigkeit unterschätzt. Mit gesenktem Kopf rammte der Urgal ihm die Hörner in die linke Schulter, sodass er quer über den Platz flog.
Spitze Steine bohrten sich in Rorans Seite, als er am Boden aufschlug. Die kaum verheilten Wunden auf seinem Rücken schmerzten. Stöhnend rollte er sich ab und spürte, wie einige aufplatzten und das rohe Fleisch brannte. Winzige Steinchen und Dreck klebten an der Fettschicht, die seinen Körper bedeckte. Ohne die Füße zu heben, schlurfte er auf den knurrenden Urgal zu und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
Wieder griff Yarbog an, wieder versuchte Roran, zur Seite zu springen. Diesmal gelang es ihm auch und der Urgal schoss knapp an ihm vorbei, fuhr herum und rannte zum dritten Mal gegen ihn an. Wieder schaffte es Roran, ihm auszuweichen.
Da änderte Yarbog seine Taktik. Während er sich Roran im Seitwärtsschritt näherte wie ein Krebs, streckte er die langen Krallenhände nach ihm aus, um ihn in seine tödliche Umarmung zu zerren. Erschrocken wich Roran zurück. Was auch geschah, er durfte nicht zwischen Yarbogs Klauen geraten, denn dann würde der Urgal ihm mit seiner ungeheuren Kraft schnell den Garaus machen.
Die Männer und Urgals rund um den Kampfplatz sahen schweigend und mit ausdruckslosen Gesichtern zu, wie sich Roran und Yarbog im Dreck gegenseitig vor und zurück trieben.
Ein paar Minuten lang tauschten Roran und Yarbog schnelle Streifhiebe. Roran versuchte nach Möglichkeit, den Urgal nicht an sich heranzulassen, in der Hoffnung, sein Gegner würde sich müde kämpfen. Aber als der Kampf immer weiterging und Yarbog genauso frisch wirkte wie zu Beginn, wurde ihm klar, dass die Zeit nicht auf seiner Seite war. Wenn er siegen wollte, musste er den Wettkampf ohne weitere Verzögerungen zu Ende bringen.
Um den Urgal zu provozieren, zog sich Roran in die hinterste Ecke des Karrees zurück und rief spöttisch: »Ha! Du bist ja so fett und langsam wie eine Milchkuh! Fang mich doch, Yarbog, oder sind deine Beine aus Schmalz? Am besten schneidest du dir gleich die Hörner ab. Das ist doch peinlich, wie du dich von einem Menschen zum Narren halten lässt. Was sollen denn die Frauen deines Stammes dazu sagen? Willst du ihnen etwa erzählen...«
Rorans Worte gingen im Gebrüll Yarbogs unter. Der Urgal rannte auf ihn zu und drehte sich dabei leicht, um mit vollem Gewicht in ihn hineinzukrachen. Roran sprang aus dem Weg und griff nach der Spitze des rechten Horns, verfehlte sie jedoch und fiel der Länge nach Richtung Platzmitte, wobei er sich beide Knie aufschlug. Fluchend rappelte er sich auf.
Yarbog konnte gerade noch rechtzeitig abbremsen, bevor ihn der Schwung über die Begrenzung des Feldes getragen hätte. Er drehte sich um und seine kleinen gelben Augen suchten nach seinem Gegner. »Ätsch!«, rief Roran. Er streckte dem Urgal die Zunge heraus und machte jede unflätige Geste, die ihm einfiel. »Du triffst ja nicht mal einen Baum, wenn er direkt vor dir steht!«
»Stirb, du jämmerlicher Mensch!«, brüllte Yarbog und sprang mit ausgestreckten Armen auf Roran zu.
Zwei Krallen zogen eine blutige Spur über Rorans Rippen, als er einen Satz nach links machte, aber es gelang ihm, sich an einem der Hörner festzuhalten. Schnell packte er auch das andere, bevor Yarbog ihn abschütteln konnte. Indem er die Hörner als Griffe benutzte, riss er den Kopf mit einem Ruck zur Seite und warf den Urgal unter Aufbietung seiner ganzen Kraft zu Boden. Sein Rücken quittierte die Anstrengung mit wütendem Protest.
Sobald Yarbogs Brustkorb die Erde berührte, setzte ihm Roran ein Knie auf die rechte Schulter und nagelte ihn dort fest. Yarbog schnaubte und warf sich herum, um den Griff seines Widersachers abzuschütteln, doch Roran ließ nicht los. Er stützte sich mit dem Fuß an einem Felsbrocken ab und verdrehte den Kopf des Urgals, so weit es ging, dabei zog er so kräftig, dass es einem Menschen das Genick gebrochen hätte. Allerdings drohten seine Hände wegen des Bärenfetts immer wieder von den Hörnern abzurutschen.
Yarbog ließ für einen Moment locker, dann stieß er sich mit dem linken Arm vom Boden ab, hob Roran dabei mit in die Höhe und strampelte mit den Beinen, um sie unter seinen Körper zu ziehen. Roran verzog das Gesicht und stützte sich mit aller Kraft auf Yarbogs Nacken und Schulter. Nach wenigen Sekunden knickte der linke Arm des Urgals wieder ein und er fiel auf den Bauch zurück.
Sie keuchten jetzt beide, als hätten sie ein Wettrennen hinter sich. Da, wo sie sich berührten, bohrten sich die Borsten des Urgals wie Drahtstücke in Rorans Haut. Beide Körper waren mit Staub bedeckt. Feine Blutrinnsale liefen von den Schrammen an Rorans Seite und von seinem schmerzenden Rücken hinab.
Als er wieder zu Atem gekommen war, fing Yarbog erneut an, zu treten und um sich zu schlagen, dabei zappelte er im Dreck wie ein Fisch an der Angel. Roran brauchte all seine Kraft, aber er hielt ihn fest und versuchte, die Steine, die ihm in Füße und Beine stachen, nicht zu beachten. Da Yarbog sich auf diese Weise nicht befreien konnte, ließ er seine Gliedmaßen erschlaffen und bog wieder und wieder den Kopf nach hinten, um Rorans Arme zu ermüden.
So lagen sie da und rangen miteinander, ohne dass einer von beiden sich mehr als ein paar Zoll bewegte.
Eine Fliege summte um sie herum und ließ sich auf Rorans Fußknöchel nieder.
Die Ochsen muhten.
Nach ungefähr zehn Minuten war Rorans Gesicht schweißgebadet. Er hatte das Gefühl, nicht genug Luft in die Lungen zu bekommen. Ihm brannten vor Schmerz die Arme. Die Striemen auf seinem Rücken fühlten sich an, als rissen sie auseinander. Unter den Rippen, wo ihn Yarbogs Klauen erwischt hatten, hämmerte sein Puls.
Roran wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Verdammt!, dachte er, gibt der Kerl denn nie auf?
In diesem Augenblick zitterte Yarbogs Kopf, als sich ein Muskel in seinem Nacken verkrampfte. Der Urgal stöhnte, das erste Geräusch, das er seit mehr als einer Minute von sich gab, und murmelte mit erstickter Stimme: »Töte mich, Hammerfaust. Ich kann dich nicht besiegen.«
Roran griff noch einmal nach und zischte ebenso leise: »Nein! Wenn du sterben willst, such dir jemand anderen, der dich tötet. Ich habe die ganze Zeit nach euren Regeln gekämpft, nun wirst du dich nach meinen ergeben. Sag allen, dass du dich mir unterwirfst. Und dass du mich nicht hättest fordern sollen. Wenn du das machst, lasse ich dich los. Wenn nicht, halte ich dich fest, bis du es dir anders überlegst, egal wie lange es dauert.«
Noch einmal versuchte Yarbog, sich zu befreien, und sein Kopf zuckte unter Rorans Händen. Er schnaubte und blies eine Staubwolke in die Luft, dann knurrte er: »Das wäre eine zu große Schande, Hammerfaust. Töte mich.«
»Ich gehöre nicht zu deinem Volk und ich werde mich nicht an eure Sitten halten«, erklärte Roran. »Wenn du so um deine Ehre besorgt bist, erzähle denen, die danach fragen, dass du vom Cousin des Schattentöters besiegt wurdest. Das ist keine Schande.« Nachdem einige Minuten vergangen waren und Yarbog immer noch kein Wort gesagt hatte, rüttelte Roran an seinen Hörnern und knurrte: »Wird’s bald?«
Mit lauter Stimme, sodass alle Menschen und Urgals es hören konnten, sagte Yarbog: »Gar! Svarvok soll mich verfluchen. Ich ergebe mich! Ich hätte dich nicht herausfordern sollen, Hammerfaust. Du verdienst es, unser Anführer zu sein, und ich nicht.«
Jubel brandete unter den Menschen auf und die Männer trommelten begeistert mit dem Knauf ihrer Schwerter auf ihre Schilde. Die Urgals traten verlegen von einem Bein aufs andere und sagten kein Wort.
Zufrieden ließ Roran Yarbogs Hörner los und rollte sich ein Stück von ihm weg. Er fühlte sich fast so, als wäre er noch einmal ausgepeitscht worden. Langsam rappelte er sich hoch und humpelte aus dem Karree zu Carn hinüber.
Er zuckte zusammen, als Carn ihm eine Decke um die Schultern legte und der Stoff an seiner übel zugerichteten Haut rieb. Grinsend reichte ihm der Varde einen Weinschlauch. »Als er dich niedergeschlagen hat, dachte ich wirklich, er würde dich umbringen. Dabei sollte ich inzwischen gelernt haben, dich nie abzuschreiben, was? Ha! Das war so ungefähr der spannendste Kampf, den ich je gesehen habe. Du musst der einzige Mensch in der Geschichte sein, der mit einem Urgal gerungen hat.«
»Vielleicht auch nicht«, sagte Roran zwischen zwei Schlucken Wein. »Aber möglicherweise bin ich der Einzige, der es überlebt hat.« Er lächelte, als Carn auflachte. Dann schaute Roran zu den Urgals hinüber, die sich um Yarbog drängten und leise knurrend auf ihn einredeten, während ihm zwei seiner Brüder das Fett und den Schmutz abwischten. Sie schienen nicht wütend oder auf Rache aus zu sein, auch wenn sie betreten wirkten, soweit er das einschätzen konnte. Er war zuversichtlich, dass er jetzt keinen Ärger mehr mit ihnen haben würde.
Trotz seiner Schmerzen freute sich Roran über den Ausgang des Wettkampfes. Das wird nicht der letzte Kampf zwischen unseren beiden Völkern gewesen sein, dachte er, aber sofern wir wohlbehalten zu den Varden zurückkehren, werden die Urgals uns das Bündnis nicht aufkündigen, jedenfalls nicht meinetwegen.
Nach einem letzten Schluck stöpselte er den Weinschlauch zu und reichte ihn an Carn zurück, dann rief er: »So, jetzt steht nicht länger herum und blökt wie die Schafe, sondern macht die Bestandsliste der Wagen fertig. Loften, treib die Pferde der Soldaten zusammen, wenn sie nicht schon über alle Berge sind. Dazhgra, kümmere dich um die Ochsen. Beeilt euch! Dorn und Murtagh könnten in diesem Moment unterwegs hierher sein. Los, macht schon!
Und, Carn, wo, zum Teufel, sind meine Kleider?«

 

 

Die Weisheit des Feuers
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