FÄUSTE GEGEN HÖRNER
Der
Überfall auf den Versorgungszug lief fast genau so ab, wie Roran es
geplant hatte: Drei Tage, nachdem sie den Haupttrupp der Varden
verlassen hatten, stürmte er mit seinen berittenen Kameraden den
Hang zu einer Senke hinab und griff den Wagenkonvoi, der sich durch
das Land schlängelte, seitlich an. Gleichzeitig sprangen die Urgals
hinter den über die Talsohle verstreuten Felsen hervor und
blockierten die Spitze des Trecks. Die Soldaten und Wagenlenker
wehrten sich tapfer, aber der Überfall traf sie völlig
unvorbereitet, und Rorans Trupp konnte sie bald überwältigen.
Keiner der Angreifer wurde getötet und nur drei trugen Verletzungen
davon, zwei Menschen und ein Urgal.
Einige Soldaten tötete Roran eigenhändig,
aber die meiste Zeit über hielt er sich im Hintergrund und
dirigierte die Kampfhandlungen, wie es jetzt seine Pflicht war. Ihm
tat immer noch alles weh von den Peitschenhieben, und er wollte
sich nicht mehr als nötig anstrengen, aus Angst, die Striemen, mit
denen sein Rücken überzogen war, könnten wieder aufplatzen.
Bis dahin hatte er keine Schwierigkeiten
gehabt, zwischen den zwanzig Menschen und zwanzig Urgals Disziplin
zu wahren. Auch wenn offensichtlich war, dass die beiden Gruppen
einander weder mochten noch trauten - was er nur zu gut verstand,
denn er verspürte denselben Abscheu vor Urgals wie alle, die in der
Nähe des Buckels aufgewachsen waren. Dennoch hatten sie es
geschafft, während der letzten drei Tage zusammenzuarbeiten, ohne
dass es auch nur zu einem Wortgefecht gekommen wäre. Das hatte
allerdings, wie er wusste, wenig mit seiner Tüchtigkeit als
Befehlshaber zu tun. Nasuada und Nar Garzhvog hatten die Krieger,
die unter ihm dienen sollten, sorgfältig ausgewählt. Ihnen allen
eilte der Ruf voraus, aufgeweckt, einsichtig und vor allem von
ruhigem, ausgeglichenem Gemüt zu sein.
Doch während seine Leute nun damit
beschäftigt waren, die Toten auf einen Haufen zu schichten, und
Roran die Reihe der Wagen auf und ab ritt, um die Arbeiten zu
überwachen, hörte er vom hinteren Ende des Konvois ein
schmerzerfülltes Heulen. Weil er dachte, es wäre vielleicht
zufällig ein weiterer Trupp Soldaten aufgetaucht, rief er Carn und
ein paar andere zu sich und gab Schneefeuer die Sporen.
Vier Urgals hatten einen feindlichen
Soldaten an den Stamm einer knorrigen Weide gebunden und vergnügten
sich damit, ihn mit ihren Schwertern zu stoßen und zu stechen.
Fluchend sprang Roran vom Pferd und erlöste den Mann mit einem
Hammerschlag von seinem Elend.
Eine Staubwolke hüllte die Gruppe ein, als
Carn mit vier anderen Kriegern auf den Baum zugaloppiert kam. Sie
zügelten ihre Pferde und nahmen mit gezogenen Waffen rechts und
links von Roran Aufstellung.
Der größte der Urgals, ein Gehörnter namens
Yarbog, baute sich vor Roran auf. »Hammerfaust, warum hast du uns
den Spaß verdorben? Er hätte bestimmt noch eine ganze Weile für uns
getanzt.«
Durch zusammengebissene Zähne sagte Roran:
»Solange ihr unter meinem Kommando steht, werdet ihr Gefangene
nicht ohne Grund foltern. Habt ihr mich verstanden? Viele dieser
Soldaten sind gegen ihren Willen gezwungen worden, Galbatorix zu
dienen. Viele von ihnen sind unsere Freunde oder Angehörige oder
Nachbarn, und obwohl wir gegen sie kämpfen müssen, werde ich keine
unnötigen Grausamkeiten dulden. Die Menschen unter uns verdanken es
nur einer Laune des Schicksals, dass wir nicht an ihrer Stelle
stehen. Sie sind nicht unser Feind; Galbatorix ist es, für uns wie
für euch.«
Die buschigen Augenbrauen des Urgals zogen
sich zusammen, bis sie fast seine tief liegenden gelben Augen
verdeckten. »Aber du tötest sie trotzdem, nicht wahr? Warum können
wir sie dann vorher nicht noch ein bisschen tanzen lassen?«
Roran fragte sich, ob der Schädel des Urgals
zu dick für seinen Hammer wäre. Er rang seinen Zorn jedoch nieder
und sagte: »Weil es falsch ist!« Er zeigte auf den toten Soldaten.
»Was, wenn er einer von eurem Volk gewesen wäre, den Durza, der
Schatten, verzaubert hätte? Hättet ihr ihn dann auch
gefoltert?«
»Natürlich«, sagte Yarbog. »Sie würden doch
wollen, dass wir sie ein bisschen mit den Schwertern kitzeln, damit
sie ihre Tapferkeit beweisen können, bevor sie sterben. Ist das bei
euch hornlosen Menschen nicht genauso? Oder vertragt ihr keinen
Schmerz?«
Roran wusste nicht, wie schlimm es für einen
Urgal war, als hornlos bezeichnet zu werden. Aber er war
sicher, dass es für sie eine ebenso tödliche Beleidigung war wie
für einen Menschen, wenn man an seinem Mut zweifelte.
Wahrscheinlich war es für die Gehörnten sogar noch schlimmer.
»Jeder Einzelne von uns könnte mehr Schmerz aushalten als du,
Yarbog«, erwiderte er und packte Hammer und Schild fester. »Also
gut, wenn du nicht unvorstellbare Qualen erleiden willst, gib mir
dein Schwert, binde den armen Kerl los und schaff ihn zu den
anderen Toten hinüber. Danach kümmerst du dich um die Packpferde.
Das wird nun deine Aufgabe sein, bis wir wieder bei den Varden
sind.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich
Roran ab und griff nach Schneefeuers Zügeln, um wieder
aufzusitzen.
»Nein«, knurrte Yarbog.
Roran erstarrte mit dem Fuß im Steigbügel
und fluchte innerlich. Genau diese Situation hatte er gehofft,
während ihres Einsatzes vermeiden zu können. Er wirbelte herum und
fragte: »Nein? Verweigerst du mir etwa den Gehorsam?«
Der Urgal fletschte seine kurzen Fangzähne.
»Nein. Ich fordere dich zum Zweikampf um die Anführerschaft dieses
Stammes, Hammerfaust.« Damit warf er den gewaltigen Kopf in den
Nacken und brüllte so laut, dass die übrigen Menschen und Urgals
alles fallen ließen und angerannt kamen, bis sich sämtliche vierzig
Mann um Yarbog und Roran drängten.
»Sollen wir uns um diese Kreatur kümmern?«,
rief Carn mit schallender Stimme.
Roran schüttelte den Kopf und wünschte sich,
weniger Zuschauer zu haben. »Nein, das mach ich schon selbst.«
Trotzdem war er froh, der Front aus grauhäutigen Kolossen nicht
allein, sondern an der Seite seiner Männer gegenüberzustehen. Die
Menschen waren zwar kleiner als die Urgals, aber alle außer Roran
saßen zu Pferde, was ihnen einen kleinen Vorteil verschaffen würde,
sollte es zu einem Kampf kommen. Carns Kräfte würden ihnen in
diesem Fall wenig nützen, denn die Urgals hatten einen Schamanen
namens Dazhgra dabei, der, nach allem, was Roran gesehen hatte, der
mächtigere Magier der beiden war, wenn auch nicht so bewandert in
den geheimen Künsten.
Zu Yarbog sagte Roran: »Bei den Varden ist
es nicht üblich, das Kommando als Preis für den Sieg eines Kampfes
zu vergeben. Wenn du kämpfen willst, werde ich kämpfen, aber du
gewinnst dadurch nichts. Wenn ich verliere, wird Carn das Kommando
übernehmen, und du wirst ihm statt mir unterstehen.«
»Pah!«, sagte Yarbog. »Mir geht es nicht
darum, dein Volk anzuführen. Ich fordere dich zum Zweikampf um das
Recht, uns anzuführen, die Krieger des Bolvek-Stammes! Du hast dich
nicht bewährt, Hammerfaust, also steht dir die Position des
Stammesführers nicht zu. Wenn du verlierst, werde ich die Gehörnten
hier anführen, und wir brauchen nicht mehr zu dir, Carn oder
irgendeinem anderen Schwächling aufzuschauen, der unseren Respekt
nicht verdient!«
Roran überdachte rasch die Lage, bevor er
sich in das Unvermeidliche fügte. Selbst wenn es ihn das Leben
kostete, musste er versuchen, seine Autorität gegenüber den Urgals
wiederzuerlangen, ansonsten würden die Varden sie als Verbündete
verlieren. Er holte tief Luft und sagte: »Bei meinem Volk ist es
Sitte, dass der Herausgeforderte Zeit und Ort des Kampfes bestimmt,
ebenso wie die Art der Waffen.«
Yarbog gluckste tief in der Kehle. »Die Zeit
ist jetzt, Hammerfaust, der Ort ist hier. Und bei meinem Volk
kämpft man im Lendenschurz und ohne Waffen.«
»Das dürfte kaum gerecht sein, da ich keine
Hörner besitze«, widersprach Roran. »Bist du damit einverstanden,
dass ich zum Ausgleich dafür meinen Hammer behalte?«
Der Urgal dachte darüber nach, dann sagte
er: »Du kannst Helm und Schild behalten, aber nicht den Hammer.
Waffen sind bei Kämpfen um die Anführerschaft nicht erlaubt.«
»Na gut... Wenn ich meinen Hammer nicht
benutzen darf, verzichte ich auch auf Helm und Schild. Wie lauten
die Regeln für diesen Kampf und wie stellt man den Sieger
fest?«
»Es gibt nur eine Regel, Hammerfaust: Wenn
du flüchtest, hast du den Kampf verloren. Gewonnen hast du, wenn du
deinen Gegner zum Aufgeben zwingen kannst - aber da ich mich
niemals ergeben werde, kämpfen wir bis zum Tod.«
Roran nickte. Das
wünscht er sich vielleicht, aber ich werde ihn nicht töten, wenn es
sich irgendwie vermeiden lässt. »Fangen wir an!«, rief er
und schlug mit seinem Hammer gegen den Schild.
Auf seine Anweisung hin räumten die Männer
und Urgals eine Fläche von zwölf mal zwölf Schritten frei und
markierten sie mit Stöcken. Dann legten Yarbog und Roran ihre
Kleidung ab, und zwei Urgals schmierten Yarbogs Körper mit
Bärenfett ein, während Carn und Loften, einer der Männer, bei Roran
dasselbe taten.
»Schmier mir, so viel du kannst, auf den
Rücken«, murmelte Roran. Er wollte, dass der Schorf auf seinen
Wunden so weich wie möglich war, damit sie nicht so leicht
aufreißen konnten.
Carn lehnte sich vor und fragte Roran:
»Warum hast du Schild und Helm abgelehnt?«
»Sie würden mich nur langsam machen. Wenn
ich nicht von ihm zerquetscht werden will, muss ich flink sein wie
ein verängstigter Hase.« Während die beiden ihn weiter einfetteten,
musterte Roran seinen Gegner auf der Suche nach irgendeiner
Schwachstelle, die ihm helfen könnte, den Urgal zu besiegen.
Yarbog war über sechs Fuß groß. Er hatte
breite Schultern, einen ausladenden Brustkorb, Arme und Beine waren
mit Muskelpaketen bedeckt. Er besaß einen so kräftigen Nacken wie
ein Stier, um das Gewicht des Kopfes und der gebogenen Hörner
tragen zu können. Drei schräge Narben zogen sich auf der linken
Seite über die Taille, wo ein Tier ihm die Klauen ins Fleisch
geschlagen hatte. Die gesamte Haut war mit feinen schwarzen Borsten
bedeckt.
Wenigstens ist er kein
Kull, dachte Roran. Er wusste, er war stark, trotzdem
glaubte er nicht, dass er Yarbog mit reiner Körperkraft besiegen
konnte. Es gab wohl nur wenige Menschen, die es mit einem gesunden
Urgal aufnehmen konnten. Außerdem war Roran klar, dass die langen
schwarzen Fingernägel, die Fangzähne und Hörner sowie die ledrige
Haut Yarbog erhebliche Vorteile bei einem unbewaffneten Kampf
verschafften. Wenn möglich, werde ich es
tun, beschloss er, während er an all die gemeinen Tricks
dachte, die er gegen den Urgal einsetzen könnte. Denn dieses Duell
würde etwas ganz anderes sein als mit Eragon, Baldor oder einem
anderen Dorfbewohner aus Carvahall zu raufen. Er war sicher, es
würde eher wie der grausame und wilde Kampf zweier Bestien
sein.
Immer wieder kehrte Rorans Blick zu den
gewaltigen Hörnern zurück, denn sie waren das Gefährlichste an dem
Urgal. Damit konnte er nach ihm stoßen und ihn aufspießen. Außerdem
schützten sie Yarbogs Kopf seitlich vor den vergleichsweise
harmlosen Schlägen, die Roran ihm mit bloßen Händen würde versetzen
können, auch wenn sie die periphere Sicht des Urgals einschränkten.
Dann erkannte Roran, dass die Hörner, die Yarbogs größter
natürlicher Vorteil waren, genauso gut sein Verderben bedeuten
konnten.
Roran lockerte die Schultern und wippte
ungeduldig auf den Zehen. Ungeduldig wartete er darauf, dass der
Wettkampf endlich begann.
Als beide von oben bis unten voll Bärenfett
waren, zogen sich die Helfer zurück, und die Kontrahenten traten in
das abgesteckte Viereck. Roran hielt die Knie leicht gebeugt,
bereit, bei der kleinsten Bewegung des Urgals in jede Richtung
auszuweichen. Der Felsboden unter seinen nackten Fußsohlen war
kalt, hart und rau.
Ein leiser Windstoß ließ die Blätter der
nahen Weide rascheln. Einer der Ochsen, die vor die Wagen gespannt
waren, scharrte mit den Hufen im Gras und sein Geschirr
knarzte.
Mit johlendem Gebrüll stürzte sich Yarbog
auf Roran und überwand die Entfernung zwischen ihnen mit drei
donnernden Schritten. Roran wartete, bis er fast heran war, und
sprang dann mit einem Satz nach rechts. Aber er hatte Yarbogs
Geschwindigkeit unterschätzt. Mit gesenktem Kopf rammte der Urgal
ihm die Hörner in die linke Schulter, sodass er quer über den Platz
flog.
Spitze Steine bohrten sich in Rorans Seite,
als er am Boden aufschlug. Die kaum verheilten Wunden auf seinem
Rücken schmerzten. Stöhnend rollte er sich ab und spürte, wie
einige aufplatzten und das rohe Fleisch brannte. Winzige Steinchen
und Dreck klebten an der Fettschicht, die seinen Körper bedeckte.
Ohne die Füße zu heben, schlurfte er auf den knurrenden Urgal zu
und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
Wieder griff Yarbog an, wieder versuchte
Roran, zur Seite zu springen. Diesmal gelang es ihm auch und der
Urgal schoss knapp an ihm vorbei, fuhr herum und rannte zum dritten
Mal gegen ihn an. Wieder schaffte es Roran, ihm auszuweichen.
Da änderte Yarbog seine Taktik. Während er
sich Roran im Seitwärtsschritt näherte wie ein Krebs, streckte er
die langen Krallenhände nach ihm aus, um ihn in seine tödliche
Umarmung zu zerren. Erschrocken wich Roran zurück. Was auch
geschah, er durfte nicht zwischen Yarbogs Klauen geraten, denn dann
würde der Urgal ihm mit seiner ungeheuren Kraft schnell den Garaus
machen.
Die Männer und Urgals rund um den Kampfplatz
sahen schweigend und mit ausdruckslosen Gesichtern zu, wie sich
Roran und Yarbog im Dreck gegenseitig vor und zurück trieben.
Ein paar Minuten lang tauschten Roran und
Yarbog schnelle Streifhiebe. Roran versuchte nach Möglichkeit, den
Urgal nicht an sich heranzulassen, in der Hoffnung, sein Gegner
würde sich müde kämpfen. Aber als der Kampf immer weiterging und
Yarbog genauso frisch wirkte wie zu Beginn, wurde ihm klar, dass
die Zeit nicht auf seiner Seite war. Wenn er siegen wollte, musste
er den Wettkampf ohne weitere Verzögerungen zu Ende bringen.
Um den Urgal zu provozieren, zog sich Roran
in die hinterste Ecke des Karrees zurück und rief spöttisch: »Ha!
Du bist ja so fett und langsam wie eine Milchkuh! Fang mich doch,
Yarbog, oder sind deine Beine aus Schmalz? Am besten schneidest du
dir gleich die Hörner ab. Das ist doch peinlich, wie du dich von
einem Menschen zum Narren halten lässt. Was sollen denn die Frauen
deines Stammes dazu sagen? Willst du ihnen etwa erzählen...«
Rorans Worte gingen im Gebrüll Yarbogs
unter. Der Urgal rannte auf ihn zu und drehte sich dabei leicht, um
mit vollem Gewicht in ihn hineinzukrachen. Roran sprang aus dem Weg
und griff nach der Spitze des rechten Horns, verfehlte sie jedoch
und fiel der Länge nach Richtung Platzmitte, wobei er sich beide
Knie aufschlug. Fluchend rappelte er sich auf.
Yarbog konnte gerade noch rechtzeitig
abbremsen, bevor ihn der Schwung über die Begrenzung des Feldes
getragen hätte. Er drehte sich um und seine kleinen gelben Augen
suchten nach seinem Gegner. »Ätsch!«, rief Roran. Er streckte dem
Urgal die Zunge heraus und machte jede unflätige Geste, die ihm
einfiel. »Du triffst ja nicht mal einen Baum, wenn er direkt vor
dir steht!«
»Stirb, du jämmerlicher Mensch!«, brüllte
Yarbog und sprang mit ausgestreckten Armen auf Roran zu.
Zwei Krallen zogen eine blutige Spur über
Rorans Rippen, als er einen Satz nach links machte, aber es gelang
ihm, sich an einem der Hörner festzuhalten. Schnell packte er auch
das andere, bevor Yarbog ihn abschütteln konnte. Indem er die
Hörner als Griffe benutzte, riss er den Kopf mit einem Ruck zur
Seite und warf den Urgal unter Aufbietung seiner ganzen Kraft zu
Boden. Sein Rücken quittierte die Anstrengung mit wütendem
Protest.
Sobald Yarbogs Brustkorb die Erde berührte,
setzte ihm Roran ein Knie auf die rechte Schulter und nagelte ihn
dort fest. Yarbog schnaubte und warf sich herum, um den Griff
seines Widersachers abzuschütteln, doch Roran ließ nicht los. Er
stützte sich mit dem Fuß an einem Felsbrocken ab und verdrehte den
Kopf des Urgals, so weit es ging, dabei zog er so kräftig, dass es
einem Menschen das Genick gebrochen hätte. Allerdings drohten seine
Hände wegen des Bärenfetts immer wieder von den Hörnern
abzurutschen.
Yarbog ließ für einen Moment locker, dann
stieß er sich mit dem linken Arm vom Boden ab, hob Roran dabei mit
in die Höhe und strampelte mit den Beinen, um sie unter seinen
Körper zu ziehen. Roran verzog das Gesicht und stützte sich mit
aller Kraft auf Yarbogs Nacken und Schulter. Nach wenigen Sekunden
knickte der linke Arm des Urgals wieder ein und er fiel auf den
Bauch zurück.
Sie keuchten jetzt beide, als hätten sie ein
Wettrennen hinter sich. Da, wo sie sich berührten, bohrten sich die
Borsten des Urgals wie Drahtstücke in Rorans Haut. Beide Körper
waren mit Staub bedeckt. Feine Blutrinnsale liefen von den
Schrammen an Rorans Seite und von seinem schmerzenden Rücken
hinab.
Als er wieder zu Atem gekommen war, fing
Yarbog erneut an, zu treten und um sich zu schlagen, dabei zappelte
er im Dreck wie ein Fisch an der Angel. Roran brauchte all seine
Kraft, aber er hielt ihn fest und versuchte, die Steine, die ihm in
Füße und Beine stachen, nicht zu beachten. Da Yarbog sich auf diese
Weise nicht befreien konnte, ließ er seine Gliedmaßen erschlaffen
und bog wieder und wieder den Kopf nach hinten, um Rorans Arme zu
ermüden.
So lagen sie da und rangen miteinander, ohne
dass einer von beiden sich mehr als ein paar Zoll bewegte.
Eine Fliege summte um sie herum und ließ
sich auf Rorans Fußknöchel nieder.
Die Ochsen muhten.
Nach ungefähr zehn Minuten war Rorans
Gesicht schweißgebadet. Er hatte das Gefühl, nicht genug Luft in
die Lungen zu bekommen. Ihm brannten vor Schmerz die Arme. Die
Striemen auf seinem Rücken fühlten sich an, als rissen sie
auseinander. Unter den Rippen, wo ihn Yarbogs Klauen erwischt
hatten, hämmerte sein Puls.
Roran wusste, dass er nicht mehr lange
durchhalten würde. Verdammt!, dachte er, gibt der Kerl denn nie auf?
In diesem Augenblick zitterte Yarbogs Kopf,
als sich ein Muskel in seinem Nacken verkrampfte. Der Urgal
stöhnte, das erste Geräusch, das er seit mehr als einer Minute von
sich gab, und murmelte mit erstickter Stimme: »Töte mich,
Hammerfaust. Ich kann dich nicht besiegen.«
Roran griff noch einmal nach und zischte
ebenso leise: »Nein! Wenn du sterben willst, such dir jemand
anderen, der dich tötet. Ich habe die ganze Zeit nach euren Regeln
gekämpft, nun wirst du dich nach meinen ergeben. Sag allen, dass du
dich mir unterwirfst. Und dass du mich nicht hättest fordern
sollen. Wenn du das machst, lasse ich dich los. Wenn nicht, halte
ich dich fest, bis du es dir anders überlegst, egal wie lange es
dauert.«
Noch einmal versuchte Yarbog, sich zu
befreien, und sein Kopf zuckte unter Rorans Händen. Er schnaubte
und blies eine Staubwolke in die Luft, dann knurrte er: »Das wäre
eine zu große Schande, Hammerfaust. Töte mich.«
»Ich gehöre nicht zu deinem Volk und ich
werde mich nicht an eure Sitten halten«, erklärte Roran. »Wenn du
so um deine Ehre besorgt bist, erzähle denen, die danach fragen,
dass du vom Cousin des Schattentöters besiegt wurdest. Das ist
keine Schande.« Nachdem einige Minuten vergangen waren und Yarbog
immer noch kein Wort gesagt hatte, rüttelte Roran an seinen Hörnern
und knurrte: »Wird’s bald?«
Mit lauter Stimme, sodass alle Menschen und
Urgals es hören konnten, sagte Yarbog: »Gar! Svarvok soll mich
verfluchen. Ich ergebe mich! Ich hätte dich nicht herausfordern
sollen, Hammerfaust. Du verdienst es, unser Anführer zu sein, und
ich nicht.«
Jubel brandete unter den Menschen auf und
die Männer trommelten begeistert mit dem Knauf ihrer Schwerter auf
ihre Schilde. Die Urgals traten verlegen von einem Bein aufs andere
und sagten kein Wort.
Zufrieden ließ Roran Yarbogs Hörner los und
rollte sich ein Stück von ihm weg. Er fühlte sich fast so, als wäre
er noch einmal ausgepeitscht worden. Langsam rappelte er sich hoch
und humpelte aus dem Karree zu Carn hinüber.
Er zuckte zusammen, als Carn ihm eine Decke
um die Schultern legte und der Stoff an seiner übel zugerichteten
Haut rieb. Grinsend reichte ihm der Varde einen Weinschlauch. »Als
er dich niedergeschlagen hat, dachte ich wirklich, er würde dich
umbringen. Dabei sollte ich inzwischen gelernt haben, dich nie
abzuschreiben, was? Ha! Das war so ungefähr der spannendste Kampf,
den ich je gesehen habe. Du musst der einzige Mensch in der
Geschichte sein, der mit einem Urgal gerungen hat.«
»Vielleicht auch nicht«, sagte Roran
zwischen zwei Schlucken Wein. »Aber möglicherweise bin ich der
Einzige, der es überlebt hat.« Er lächelte, als Carn auflachte.
Dann schaute Roran zu den Urgals hinüber, die sich um Yarbog
drängten und leise knurrend auf ihn einredeten, während ihm zwei
seiner Brüder das Fett und den Schmutz abwischten. Sie schienen
nicht wütend oder auf Rache aus zu sein, auch wenn sie betreten
wirkten, soweit er das einschätzen konnte. Er war zuversichtlich,
dass er jetzt keinen Ärger mehr mit ihnen haben würde.
Trotz seiner Schmerzen freute sich Roran
über den Ausgang des Wettkampfes. Das
wird nicht der letzte Kampf zwischen unseren beiden Völkern gewesen
sein, dachte er, aber sofern
wir wohlbehalten zu den Varden zurückkehren, werden die Urgals uns
das Bündnis nicht aufkündigen, jedenfalls nicht
meinetwegen.
Nach einem letzten Schluck stöpselte er den
Weinschlauch zu und reichte ihn an Carn zurück, dann rief er: »So,
jetzt steht nicht länger herum und blökt wie die Schafe, sondern
macht die Bestandsliste der Wagen fertig. Loften, treib die Pferde
der Soldaten zusammen, wenn sie nicht schon über alle Berge sind.
Dazhgra, kümmere dich um die Ochsen. Beeilt euch! Dorn und Murtagh
könnten in diesem Moment unterwegs hierher sein. Los, macht
schon!
Und, Carn, wo, zum Teufel, sind meine
Kleider?«